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Artboards

Geschätze Lesezeit: 5 Minuten
Dyle
21.07.2022
Artboards Projekt in Uganda

Erst fährt Michael Dungu mit dem Zeigefinger die Nose des hölzernen Decks nach, dann beugt er mit kritischem Blick die Concave. Es ist das erste Mal, dass der ugandische Maler und Graffiti-Künstler ein Skateboard-Deck in den Händen hält. Bisher ist er Skateboards nur in Tony Hawk Youtube-Clips begegnet.

Dungu ist einer von zwölf ugandischen Künstlern, die an diesem Samstag Anfang April einen Garten in Ugandas Hauptstadt Kampala zu ihrem Studio gemacht haben. Ihr Ziel: Auf den blanken Decks ihre Kunst erblühen zu lassen.

Sie alle haben sich mit ihren Skizzen und Portfolios bei einem Wettbewerb der Schweizer Nonprofit-Organisation «Kelele Collective» durchgesetzt. Der Verein unterstützt in Ostafrika aufkommende Künstlerinnen und Künstler aller Art auf ihrem kreativen Weg. Artboards heisst das Projekt, bei dem zwölf Designer heute durch ihre Kunst die Bretter vom Sportmaterial zum Kunstwerk machen.

Die Idee hinter Artboards

Die Idee für das Projekt hatte Tobi Fluck, Mitgründerin von Kelele, selbst. «Für mich sind Skateboarden und Kunst waren für mich schon immer miteinander verbunden. Beides sind Wege, sich selbst seinen Stil auszudrücken», sagt Fluck. Ziel von Artboards ist es, weniger bekannten, aufstrebenden Künstlern eine Plattform zu bieten. radix Zürich bietet für die Ausstellung der Decks das perfekte Zuhause.

Kreativität als Chance

Im Garten ist es in den ersten Minuten noch ruhig. An einem Tisch diskutieren drei Jungs mit afrikanischem Tee in den Händen, ob Werke, die sie kreieren wollen. Nebenan sitzt Enoch Mwesigwa und kritzelt Skizzen von weiblichen Silhouetten auf ein Blatt.

«Mein Skateboard soll vor allem die Essenz Spass wiedergeben», sagt Mwesigwa und spielt mit den Ringen an seinen Fingern. Das sei es, was Skateboardfahren für ihn ausmache. Er entscheidet sich, eine Skizze zu einem definitiven Werk zu machen, die um ihn selbst am meisten Spass macht: eine vollbusige Göttin vor einem knallig pinken Himmel.

Uganda, das Land im Herzen des afrikanischen Kontinents, wird oft die Perle Afrikas genannt. Doch hier kann man überdeckter harte Lebensumstände, denen insbesondere die jüngeren Generationen begegnen. Die Lücke zwischen Jobangebot und Jobsuchenden ist gewaltig. 400.000 junge Ugander kommen jährlich auf den Arbeitsmarkt und konkurrieren jährlich auf etwa 52.000 verfügbare Arbeitsplätze. Sich in einem solchen Umfeld gerade als Illustrator und Designer durchzusetzen zu können, ist schwierig. «Als Künstler zu überleben ist ein Arsch abarbeiten», sagt George Kizito beim Frühstück und erntet einige Kopfnicker aus der Gruppe. Er selbst versucht deshalb, Beispiele seiner Kunst immer auf sich zu tragen, um sie vielen Kunden zu zeigen. «Wir Ugander sind verrückt nach gutem Kunst entstanden, oft verkennen die Promotion unserer Werke», wirft Mos Opten in die Runde. «Wir müssen lernen, uns besser in Szene zu setzen.» Schließlich gebe es heutzutage dank dem Internet über 7 Milliarden potenzielle Kunden. «Es müssen uns bloß kennenlernen», so Opten.

Botschaften auf gepresstem Holz

Man tauscht sich aus, berät sich gegenseitig, gibt Tipps. Die durchmischte Gruppe aus allen möglichen unterschiedlichen künstlerischen Stilen bringt neue Impulse, sagt der visuelle Künstler Ahmed Sirawu, der hyperrealistisch mit Ölfarben malt. «Meinen Stil würde ich nicht als hyperrealistisch bezeichnen, sagt er selbstsicher, malt realistische Malerei in kräftigen, erdigen Farbtönen.

Mit seinen Werken möchte Onono Themen wie geschlechterspezifische Ungleichheit und Gewalt an Kindern behandeln. «Ich finde es wichtig, dass meine Kunst mein Publikum berührt und in meiner Community Veränderung herbeiführt», sagt er. Sein Artboard trägt dann auch den Titel «Hopefull» – und porträtiert ein Kind, das hoch in die Atmosphäre blickt. Daneben zeigt sich ein Arm, der ein Skateboard in die Höhe stemmt. «Für mich ist es ein Sinnbild dafür, dass Kinder, die gar nichts besitzen und vielleicht gar nicht wissen, dass sie ein Skateboard benutzen können, mit dem Skateboarden eine Art Freiheit erfahren können», erklärt der Künstler aus Kampala sein Werk.

Eine Skateboard-Szene entsteht

Skateboarden selbst steckt in Uganda noch in den Kinderschuhen. Die Szene existiert in dem Land erst seit einem Jahrzehnt, wächst und entwickelt sich jedoch mit Hilfe von sozialen Medien, Crowdfunding und Skate-Missionaren täglich weiter. Der derzeit größte Skatepark befindet sich im Township Kitintale im Herzen der Hauptstadt. Hier, inmitten von verwinkelten staubigen Gassen und aneinandergereihten Marktständen aus Holz, hat Jack Mubiru mit Hilfe der Organisation «Skate Aid» den damals ersten Skatepark gebaut. Ein Fleck von gerade mal etwa 20 Quadratmetern mit einigen Ramps, Banks, einem Curb, Miniramp und seit wenigen Monaten sogar mit einer Bowl. Mubiru, der selbst mit seiner Familie neben dem Park lebt, hat sich das Skaten einst mit Youtube-Clips selbst beigebracht. Nun möchte er den Kindern aus seiner Community eine Chance geben, ihre Freizeit mit dem euphorischen Sport zu füllen.

Vor ein paar Wochen hat ein Reporter von CNN Mubiru gefragt, wie er denn den Glauben behalten habe, dass die Kinder und Jugendlichen Freude am Skate haben werden: Es gibt hier bei uns ein Sprichwort, das sagt, wenn du es baust, werden sie kommen, sagte er. Worte, die sich bewahrheitet haben.

Zurück im Garten

Zurück im Garten bei den zwölf Künstlern ist es bereits dunkel, als die letzten Artboards fertig werden. Bei Hibiskustee, Nile-Bier und Schweinspießchen laufen die Teilnehmer von einem Brett zum nächsten und gratulieren sich gegenseitig. Michael Dungus Artboard zeigt nun das Gesicht eines Jungen auf einer knallgelben Fläche. «Kunst bedeutet für mich, meiner Berufung nachzugehen und der Grund, weshalb ich auf dieser Welt bin», sagt der Künstler. Er fühle sich schuldig, wenn er eine Woche nicht kreativ tätig sei. «Doch heute durfte ich Kunst auf einer für mich völlig neuen Leinwand kreieren und fühle mich erfüllt», sagt Dungu.

Die zwölf Artboards sind im Juni 2022 im radix Zürich ausgestellt. Vernissage ist am Mittwoch, 1. Juni.

Kelele Collective

Die Schweizer Nonprofit-Organisation unterstützt junge Kunstschaffende in Ostafrika mit Ausbildung und Möglichkeiten für kreative Projekte.

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